Konzert vom 12.5. im Bahnhof Rolandseck
Der dritte Abend des gerade von Nils Mönkemeyer ins Leben gerufenen Festivals „Elysium“ fand in Kooperation mit der Wasmuth-Gesellschaft statt. Er war ausschließlich Mozart und Mozart-Bearbeitung gewidmet.
Nach einem bekannten Bonmot ist Mozart zu leicht für Amateure und zu schwer für Profis. In der Tat ist es durchaus üblich, sich im normalen Klavier-Unterricht mit Sonaten von Mozart zu beschäftigen, die anerkannte Pianisten nur mit einer gewissen Nervosität ins Programm für das nächste Konzert nehmen. Mozarts Musik wirkt wie ein Vergrößerungsglas für Fehler. Selbst kleine Ungereimtheiten sind außerordentlich störend.
Obiges Bonmot gilt aber nicht nur für Interpreten, sondern – in sinngemäßer Anpassung – auch fürs Publikum. Je mehr der Hörer über Musik weiß, desto unbegreiflicher wird ihm die Perfektion Mozart’schen Komponierens. Und das wiederum stellt den Interpreten vor eine besondere Aufgabe: Dem Publikum durch seine Kunst ein unmittelbares Verständnis Mozart’scher Musik zu ermöglichen – sozusagen ein Verstehen jenseits des rein rationalen Begreifens. Es sind immer Sternstunden, wenn das gelingt – und dem Publikum des Konzertes am 12ten Mai im Bahnhof Rolandseck wurde eine solche Sternstunde geschenkt.
Das Konzert begann mit einem Streichquartett: Adagio und Fuge in c-Moll, KV 546. Am 26.6.1788 notiert Mozart in seinem eigenhändigen Werkverzeichnis über das Werk: „Ein kurzes Adagio à 2 violini, viola, e Baßo, zu einer fuge welche ich schon lange für 2 klaviere geschrieben habe.“ Gemeint ist die am 29.12. 1783 vollendete Fuge für 2 Klaviere, KV 426, die Mozart für Streichquartett arrangiert und mit dem Adagio zu KV 546 kombiniert hat. Das Werk ist selten im Konzert zu hören; es stellt hohe Anforderungen an Hörer und Interpreten. Das rücksichtslose Getümmel von vier völlig unabhängig geführten Stimmen in einer äußerst emotional geprägten Melodik erinnert im Duktus durchaus an Neue Musik. Die Darbietung des Werkes durch das Signum-Quartett gipfelte in der Dramatik einer fabelhaften Schluss- Stretta. Der Wiedereintritt des Themas erfolgt in immer kürzeren Abständen und lässt in unwiderstehlicher Logik nur noch einen Abschluss zu: die Rückkehr zur Homophonie mit 4 entschieden gesetzten Schluss-Akkorden. Die leidenschaftliche Interpretation durch das Signum-Quartett (Florian Donderer und Annette Walther, Violine; Xandi van Dijk, Viola; Thomas Schmitz, Violoncello) war im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend.
Das nächste Werk, 6 Variationen g-Moll über „Helas, j’ai perdu mon amant“ KV 360, geschrieben 1781 in Wien, zeigte einen gänzlich anderen Mozart. Thema der Variationen ist eine vom Klavier vorgetragene eingängige g-Moll Melodie im Sechs-Achtel Takt, die von der Viola liebevoll umspielt wird. Es folgen 6 Variationen, in denen sich Viola und Klavier absolut gleichberechtigt abwechseln in der führenden beziehungsweise umspielenden Rolle. Dabei stellt der jeweils führende Partner immer den Bezug zum Thema her, was der umspielende Partner sehr unterschiedlich musikalisch kommentiert. Dem Titel folgend erzählt Mozart eigentlich eine Liebesgeschichte mit musikalischen Mitteln. Die Darstellung durch Nils Mönkemeyer, Viola und William Youn am Klavier als gleichberechtigte und ebenbürtige Duo-Partner war so unmittelbar berührend, dass dieses Werk für so manchen Hörer zum heimlichen Höhepunkt des Abends wurde.
Das letzte Stück vor der Pause, Arvo Pärts Mozart-Adagio (nach KV 189), ist ein gelungenes Beispiel für zeitgenössische Mozart Rezeption. Das im Titel genannte Adagio ist das f-Moll Adagio aus der Klaviersonate F-Dur KV 189e. Dieser langsame Satz – wiederum im Sechs- Achtel Takt – ist ein tiefsinniges Kabinett-Stück voll überraschender Wendungen mit ungewöhnlichen und originellen Modulationen. Sehr zu loben ist die Idee, vor dem Vortrag der Pärt’schen Bearbeitung das Mozart’sche Original spielen zu lassen. William Youns Darbietung des Stücks war von makelloser Schönheit – es wurde sehr, sehr still im Saal.
Die Bearbeitung für Klaviertrio durch Arvo Pärt lässt Mozart zu Wort kommen und reflektiert ihn in zeitgenössischer Tonsprache. Das Werk ist atmosphärisch dicht und überzeugend. Arvo Pärt gelingt das doppelte Kunststück, mit seiner Komposition zur Deutung von Mozarts Werk beizutragen und gleichzeitig mit Mozarts Werk seine eigene Komposition zu verdeutlichen – es ist gleichsam ein Doppelspiegel. Florian Donderer (Violine), Thomas Schmitz (Violoncello) und William Youn (Klavier) fanden mit traumwandlerischer Sicherheit den Schlüssel zur überzeugenden Darstellung des Werkes: die gemeinsam erfahrene innere Ruhe, die jeden Ton zu einem Ereignis macht, für das es keine Alternative gibt. Chapeau!
Nach der Pause kam das Hauptwerk des Abends, Mozarts Klavierquartett g-Moll, KV 478. Laut Mozarts eigenhändigem Werkverzeichnis schloss er die Komposition am 16.10.1785 in Wien ab. Das Quartett gehört zu seinen wichtigsten und bekanntesten Kammermusikwerken. Mit seinem Verleger Hoffmeister hatte Mozart vereinbart, eine Serie von Werken für diese Besetzung zu schreiben. Da Hoffmeister den Mangel an Interesse beim Publikum am Werk beklagte – es wurde als zu schwer empfunden – annullierte Mozart den Vertrag mit ihm, und wir Nachgeborenen müssen damit leben, dass Mozart nur ein Schwesterwerk zum g-Moll Klavierquartett geschrieben hat!
Der interpretatorische Grundansatz der Ausführenden für das g-Moll Klavierquartett (Annette Walther, Violine; Nils Mönkemeyer, Viola; Thomas Schmitz, Violoncello; William Youn, Klavier) war ebenso originell wie überzeugend. Die Streicher konzentrierten sich auf die emotionale Umsetzung der Partitur, William Youn am Klavier sorgte für strukturelle Klarheit und Ordnung. Die Dialektik dieses Spannungsverhältnisses funktionierte in allen Sätzen bestens und kam im rasanten dritten Satz so überaus zwingend und überzeugend zur Geltung, dass der Beifall in reinstem Jubel aufbrandete und schier nicht enden wollte. Es war – wie schon eingangs gesagt – eine Sternstunde.
Dr. Cornelia und Dr. Konrad Lang